Juli 1973 – Sieht so das Paradies aus? Von Kabul bis nach Bamiyan sind es gut 250 Kilometer. Bei afghanischen Straßenverhältnissen dürfte das rund fünf Stunden Fahrzeit bedeuten. Die afghanische Hauptstadt liegt zwar in einer Höhe von über 1.800 Metern – trotzdem ist dieser Sommer in Kabul extrem heiß und alles ist permanent mit einer

Juli 1973 – Sieht so das Paradies aus?

Von Kabul bis nach Bamiyan sind es gut 250 Kilometer. Bei afghanischen Straßenverhältnissen dürfte das rund fünf Stunden Fahrzeit bedeuten. Die afghanische Hauptstadt liegt zwar in einer Höhe von über 1.800 Metern – trotzdem ist dieser Sommer in Kabul extrem heiß und alles ist permanent mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Selbst in den Nächten kühlt es kaum ab und so haben Monika, Michelle und ich beschlossen, mit dem frisch vom Service abgeholten Auto in die Provinz Bamiyan zu fahren.

Die Luft soll frisch und klar sein, haben uns andere Gäste im Green-Hotel erzählt. Überall würden Blumen blühen, Erdbeeren wachsen und Mandelbäume Schatten spenden. Ein Hippie-Paradies inmitten eines Landes, das seit wenigen Jahren Traumziel meiner Generation ist? Und wir sollten uns auf keinen Fall den Anblick der beiden Buddha-Statuen entgehen lassen, die beiden größten stehenden Buddhas der Welt, direkt aus dem massiven Felsen herausgehauen.

Früh am Morgen wälzen wir uns von unserer gemeinsamen Matratze. Zum Frühstück gibt’s Erdbeershake und frisches Fladenbrot. Die Hotelrechnung ist schnell bezahlt und der Mann an der Rezeption verspricht uns, in vier Tagen wieder ein Zimmer für uns zu haben. Die Straße führt anfangs fast direkt in Richtung Norden. Nur ganz am Anfang ziemlich gerade und gut ausgebaut, nach einer Stunde dann schmaler, kurviger und über weite Strecken ohne Straßenbelag. Gut zwei Stunden dauert es, bis wir, an Bagram vorbei, das Dorf Charikar erreichen. Eine Reihe von Lehmhäusern, eine Schule und, etwas außerhalb des Ortes, eine Fabrik. Geradeaus, weiter in Richtung Norden ginge es steil in den Hindukusch hinein. Salang-Pass und Salang-Tunnel liegen dort. Die Straße führt nach Kunduz und die nördlichen Regionen Afghanistans.

Wir biegen nach links ab und fahren weiter in Richtung Westen. Wenn unsere Straßenkarte stimmt, sind es bis nach Bamiyan noch etwa 170 Kilometer. Dort würden wir uns gerne die Buddha-Statuen ansehen und für eine Nacht bleiben. Danach weiter nach Band-E-Amir, einer angeblich wunderschönen Seenkette im Hindukusch.

Der kleine Buddha bei Bamiyan vor der Zerstörung . Foto: Volker Thorwaldt

Schon nach einer Viertelstunde wird klar: das mit Bamiyan wird knapp. Hochgebirge um uns herum, die Straße verläuft zum großen Teil in Serpentinen. Dort, wo sie asphaltiert ist, sind die Schlaglöcher so groß, dass man sich darin verstecken könnte. Asphalt ist aber selten, meistens ist es festgefahrene Erde, Schotter oder Sand. Es geht fast nur im zweiten Gang vorwärts, wir schaffen maximal 30 Kilometer in der Stunde. Die Fahrerei ist ein bisschen anstrengend doch die Landschaft ist so großartig, dass allein der Ausblick alle Anstregungen wieder aufwiegt. Schroffe Berge und tiefe Täler auf beiden Seiten der Straße. Sattgrüne Flächen wechseln sich mit rostbraunen Geröllhängen ab. Michelle liegt hinten auf dem Rücken, sieht durch das mit kupferbraunem Staub bedeckte Heckfenster den Himmel und ist sich sicher, mindestens einen Adler im Blick gehabt zu haben.

Dort, wo man weit in die Täler hineinsehen kann, gibt es Erdbeerfelder, Mandel- und Olivenbäume, einmal sogar eine ganze Plantage mit Kirschbäumen. Ab und zu durchziehen Bewässerungsgräben die Täler. Paradiesische Zustände scheinen das hier oben zu sein.

Fünf Uhr Nachmittags. In einer guten Stunde wird es dunkel und wir haben sicher noch 30 Kilometer vor uns. Mit den Buddha-Statuen bei Tageslicht wird das nichts mehr. Tatsächlich ist es dann fast sieben, als wir Bamiyan erreichen. Der Ort ist viel kleiner, als wir erwartet haben. Wenn hier 2.500 Menschen leben, könnte das schon hoch gegriffen sein. Es scheint, als gäbe es ein einziges Hotel – und das ist ausgebucht. „Kein Problem,“ sagt die junge Frau an der Rezeption. „Wir haben eine große Holzterrasse, wenn ihr Schlafsäcke habt, legen wir euch da ein paar Matratzen hin.“ Wunderbar! Mal wieder schlafen unterm Sternenhimmel!

 

Die Leute hier gehören der Volksgruppe der Hazara an. Anders als die meisten Afghanen sind sie keine sunnitischen Moslems sondern gehören den Schiiten an. Ihre Sprache ist Persisch, durchwirkt mit etlichen Worten aus dem Türkischen. Gerade von vielen Paschtunen, der Bevölkerungsmehrheit in Afghanistan, werden die Hazara diskriminiert und noch bis Anfang unseres Jahrhunderts wurden Tausende von Hazara versklavt.

Zum Abendessen gibt es Bolani, und Pirki. Beides so etwas wie Teigtaschen, die mit

„Höhle“ des kleinen Buddga nach der Sprengung durch die Taliban – Foto: Carlos Ugarte

Kartoffelscheiben, Gemüse und Kräutern gefüllt sind und in heißem Öl ausgebacken werden. Dazu frische Erdbeeren und wunderbar kühles Wasser. Die folgende Nacht auf den Holzplanken der Terrasse ist richtig kalt. Gut, dass wir warme Schlafsäcke haben und uns auch gegenseitig warm halten können. Bis die Sonne uns weckt, haben wir keine einzige Mücke gefühlt oder gesehen. Vielleicht ist es für die summenden Plagegeister hier einfach zu hoch. Die Berge um uns herum haben Gipfel mit deutlich über 4.000 Metern.

Ein schnelles Frühstück mit heißer Suppe, warmem Brot und Brunnenwasser und dann wollen wir endlich die Statuen sehen. Zu Fuß sind das kaum mehr als zwei Kilometer. Das Auto bleibt stehen. Es ist wunderbar, durch das noch sehr schräg einfallende Sonnenlicht zu laufen. Die Luft ist knackig und klar, es riecht nach frischem Tee und nach Heu. Hier und dort meckern Ziegen oder blöken Schafe. Irgendwo am Rande des Ortes brüllt ein Esel.

Schon sehr bald stehen die beiden Buddhas vor uns. Vor über 1.400 Jahren aus dem massiven Fels herausgehauen sind es die größten stehenden Buddha-Statuen der Welt. Mit 53 Metern Höhe ist die Linke deutlich größer als die Freiheitsstatue in New York, hat fast genau die Höhe des Riesenrades im Wiener Prater oder des Schiefen Turms von Pisa. Nur schief sind die beiden Monumente hier bei Bamiyan nicht, sondern präzise und mit großem Aufwand aus dem Stein herausgearbeitet.

Wie genau gearbeitet wurde, weiß man bis heute nicht. So viel ist sicher: für beide Statuen wurden Felsnischen in den roten Sandstein gehauen. Die grobe Form der Buddhas wurde dabei schon berücksichtigt. Später wurde eine Lehmmischung auf die rohen Stauen aufgetragen und die Körper damit modelliert. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass dieser Mörtel eine Mischung aus Tonerde, Stroh und Rosshaar war. Mit komplizierten Seilvorrichtungen, Holzkeilen und -stangen musste diese Schicht dann weiter geformt und fixiert werden. Die größere der beiden Statuen wurde anschließend komplett mit dunkelroter Farbe gestrichen, die kleinere muss mehrfarbig gewesen sein. Heute sind die Monumente sandfarben, wie der umgebende Stein. Nachdem der Buddhismus im Bamiyan-Tal langsam vom Islam verdrängt wurde, wurden die Statuen für die Bevölkerung immer weniger wichtig. Einige kleinere Teile wurden zerstört, Ende des 19. Jahrhunderts dienten die riesigen Figuren vorübergehend als Ziele für Schießübungen der Artillerie.

Noch am Nachmittag fahren wir weiter nach Band-E-Amir. Nicht weit, nur gut 70 Kilometer. Doch auf dem Weg führt die schmale, löchrige Straße über den Nil-Kowtal-Pass. Mehr als 3.500 Meter über dem Meeresspiegel. Und wieder geht es langsam voran mit unserem schwachbrüstigen VW-Motor im Rücken. Zudem nimmt bekanntlich aus physikalischen Gründen die Leistung von Verbrennungsmotoren mit zunehmender Höhe erheblich ab – immerhin: es geht vorwärts und bisher gibt es mit der provisorisch reparierten Lenkung keinerlei Probleme.

Einer der Seen von Band-E-Amir – Foto: Babak Fakhamzadeh

Das Bild, das sich uns nach gut zwei Stunden zeigt, erscheint beinahe unwirklich. Wie silberblaue Spiegel liegen die Seen zwischen den Bergen. Himmel und Landschaft reflektieren in der Wasseroberfläche. Hin und wieder ein großer Vogel, der lautlos nach Beute sucht. Ansonsten völlige Stille um uns herum. Zum Weinen schön und friedlich hier in Afghanistan.

Sechs Seen sind aufgereiht, wie an einer Perlenkette. Wie eine riesige Wassertreppe liegt einer immer etwas höher als der vorhergehende. Gestaut werden sie durch natürliche Staumauern, die sich aus dem Kalk des Wassers gebildet haben. Hier oben, in 3.000 Metern Höhe, ist nichts, außer Natur. Kein Dorf, kein Hotel, nur eine einzige, schmale Straße. Wilde Ziegen leben hier und Uriale, Wildschafe mit großen Hörnern und einer mächtigen Mähne.

In einer windgeschützten Mulde machen wir ein Feuer und bruzzeln uns Kartoffeln und ein paar Brocken Fleisch, das wir in Bamiyan gekauft hatten. In einer Gegend wie dieser kann das selten gewordene Gefühl aufkommen, eins mit der Natur zu sein. Unsere drei Schlafsäcke liegen um das noch schwach brennende Feuer herum und unter völlig klarem Sternenhimmel sind wir sehr bald eingeschlafen. – Bis Michelle mich wach rüttelt. Vorsichtig strecke ich den Kopf aus dem Daunenschlafsack raus. Donnerwetter! Das ist ja bitterkalt. Der Teetopf von gestern Abend hat eine Eisschicht, es müssen deutlich unter Null Grad sein. Die Engländerin setzt sich ins Auto, während Monika und ich das Feuer wieder entfachen. Gut, dass wir genug Brennmaterial haben. Nach ein paar Minuten ist auch Michelle wieder bei uns – im Auto ist es auch nicht wärmer und in dieser klaren ruhigen Nacht zum Heizen den Motor laufen lassen? Nein! Durch regelmäßiges Drehen langsam von allen Seiten wieder durchgewärmt packen wir ein und machen uns gegen fünf Uhr langsam auf den Weg zurück nach Kabul.


Das nächste Kapitel meines Afghanistan-Tagebuches erscheint am 18. Dezember 2018 unter dem Titel „Juli 1973 – Ein Schuss, der die Welt verändert“.
Ein weiteres Kapitel gibt es dann ca. alle 14 Tage. Insgesamt werden etwas mehr als 60 Kapitel veröffentlicht.


Dieter Herrmann, der Autor dieses Afghanistan-Tagebuchs, lebt in Australien, berichtet von dort für deutsche Fernsehsender und ist Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien.
Bekannt ist er als Medientrainer für Hörfunk- und Fernsehsender sowie für Führungskräfte im oberen Management, Offiziere und Piloten.
Kontakt zum Autor und weitere Informationen zu den angebotenen Medientrainings über die Homepage dieses Blogs oder unter dieter(at)australia-news.de [bitte das (at) durch das @-Zeichen ersetzen!]


Meine erste Reise nach Afghanistan begann im Frühsommer 1973. Seitdem bin ich sicher über 100 mal mal im Land am Hindukusch gewesen und habe insgesamt mehre Jahre dort verbracht. Alle politischen System vom Königreich bis zur heutigen Islamischen Republik habe ich kennen gelernt.
In rund 60 Kapiteln schildere ich, basierend auf Tagebüchern und Erinnerungen, meine Erlebnisse in dem Land, das seit 1973 nicht mehr zur Ruhe gekommen ist.
Neben vielen anderen Erfahrungen wurde ich in dieser Zeit zweimal verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, musste zeitweilig im Bunker der türkischen Botschaft leben und hatte ein erstaunliches Interview mit Mullah Muttawakil, dem persönlichen Sprecher von Taliban-Führer Mullah Omar und späteren Taliban-Außenminister.

Ich schildere meine eigenen Gefühle und Zweifel ebenso wie politische und menschliche Geschehnisse, Bewegungen in der Bevölkerung und Entwicklungen im Land.

Nichts an diesem Manuskript ist erfunden oder hinzugedichtet – einiges allerdings habe ich, um niemanden zu gefährden, weggelassen. Einige Namen habe ich sicherheitshalber verändert.

Ob das letzte Kapitel jemals fertig werden wird, ist fraglich. Eigentlich sollte ich im Jahr 2018 wieder in Kabul unterrichten, doch die Sicherheitslage ist dermaßen schlecht, dass meine Auftraggeber mich voraussichtlich nicht ins Land holen werden. „Deutscher Medientrainer von Taliban ermordet“ wäre für alle Beteiligten eine katastrophale Schlagzeile.

Dieter Herrmann

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