Februar 2001 – Unser Visum: Jetzt aber wirklich!? Ist ja wirklich ganz schön im Marriott-Hotel in Islamabad. Und sei es nur, um unsere Bärte wachsen zu hören. Was können wir machen? Ob es so etwas wie Gesichtsdünger oder ein Haarwuchsmittel für Bärte gibt? Einfaches Pressen hilft jedenfalls nicht. Den Sonntag und den Montag haben wir
Februar 2001 – Unser Visum: Jetzt aber wirklich!?
Ist ja wirklich ganz schön im Marriott-Hotel in Islamabad. Und sei es nur, um unsere Bärte wachsen zu hören. Was können wir machen? Ob es so etwas wie Gesichtsdünger oder ein Haarwuchsmittel für Bärte gibt? Einfaches Pressen hilft jedenfalls nicht. Den Sonntag und den Montag haben wir verstreichen lassen. Am Dienstag werden wir wieder bei der Botschaft von Taliban-Afghanistan vorstellig. Es regnet in Strömen, an manchen Stellen steht das Wasser knietief auf der Straße, Kinder genießen das nasse Vergnügen und die Abkühlung.
Der Innenhof der Botschaft ist eine einzige Schlammwüste. Matschige Haufen rings um die Bäume herum, tiefe Fußspuren zwischen Eingangstor und Haustür. Die Wassermassen prasseln auf das kleine Vordach über dem Eingang und rauschen ungebremst – eine Regenrinne ist nicht installiert – in den zähen Schlamm.
Sollen wir anklopfen? Einfach hineingehen? Rufen? Zu sehen ist jedenfalls niemand, auch keine Klingel. Ich versuche es mit Klopfen. Zuerst zaghaft, dann deutlich kräftiger. Nichts. „Hello, anyone here?“ Nichts. „Merhaba!“ Das ist zwar türkisch, vielleicht aber ist es auch für Paschtunen verständlich. Keine Reaktion.
Und jetzt?, Einfach reingehen? Wäre das o.k.? Oder unhöflich, gar gefährlich? Blickwechsel mit Kay. In seinen Augen sehe ich ein deutliches „Ja!“. Na, denn los. Tatsächlich ist die Tür nicht abgeschlossen und Sekunden später stehen wir in einem Flur. Eine Treppe führt nach oben, drei Türen gehen hier im Erdgeschoss ab. Eine steht offen. Unter weiteren „Hello“ und „Merhaba“ – Rufen schauen wir beide durch die offene Tür. Eine Art Büro. Ein völlig leerer Schreibtisch, ein offensichtlich ziemlich wackliger Stuhl, ein Regal mit genau zwei Büchern.
Auf dem Schreibtisch eine goldfarbenes, mit Schnörkeln verziertes Namensschild. Der Name in einer für mich nicht lesbaren Schrift, darunter „Ambassador“. Auf Englisch. Wir sind im Büro des Botschafters gelandet. Dann plötzlich hinter uns das explosive Geräusch einer mit Schwung zuschlagenden Tür.
Februar 2001 – Beim Barte des Propheten
Ein Mann mit einem dichten, schwarzen Bart steht vor uns. Völlig klar: wir sind gerade unberechtigt in sein Amtszimmer eingedrungen. Da dürfte Ärger drohen! Freundlich lächelnd bittet er uns, Platz zu nehmen, setzt sich selbst auf den ausgeleierten Drehstuhl hinter dem Schreibtisch. „How was your day so far?“ Er will ernsthaft wissen, wie unser Tag bisher war? Noch immer lächelnd reicht er uns eine Visitenkarte über den Tisch. „Mullah Abdul Salaam Sayeef, Ambassador“ ist in verschnörkelten Buchstaben zu lesen. Der Chef ist es also selbst. Für meine selbst gedruckte Visitenkarte, die ich ihm zurückreichen kann, schäme ich mich wieder mal. Klar könnte ich auch offizielle Visitenkarten von Deutsche Welle haben. Aber da würde an prominenter Stelle die Zeile „Free Lance Journalist / In Freier Mitarbeit“ stehen. Ob ich das möchte oder nicht. Hier in Pakistan wäre ich damit ungefähr so viel Wert, wie der Straßenhändler mit seinen Abfällen vom Schlachthof.
Wir sitzen also einem echten Mullah gegenüber – und er ist noch immer freundlich. Vor allem in der westlichen Welt und nach der islamischen Revolution im Iran hat das Wort „Mullah“ einen negativen Beiklang. Tatsächlich ist es nichts anderes als der Ehrentitel für einen Rechts- oder Religionsgelehrten.
„Well, so you want to file some reports on the situation in Afghanistan?“ Er weiß also schon, dass wir aus seinem Land berichten möchten – sicher weiß er auch, dass wir auf ein Visum warten. Sekunden nachdem er einen Klingelknopf auf seinem Schreibtisch betätigt hat, kommt ein Mann mit einem golden glänzenden Tablett in den Raum. Grüner Tee, Bonbons und Nüsse. „Ja, im Prinzip spricht ja nichts dagegen, dass Sie nach Kabul fliegen und aus Afghanistan berichten“, sagt uns der Mullah mit der Teetasse in der Hand. Natürlich wäre es ganz klar, dass wir uns an alle bestehenden Gesetze halten müssen. Dazu gehört natürlich auch das Rasierverbot für alle Männer. „You have to understand!“ Man könne uns doch nicht fast ohne Bart herumlaufen lassen, während alle Männer in Afghanistan ihr Gesichtshaar sprießen lassen müssen.
Ein paar Tage sollen wir noch warten und dann wieder zur Botschaft kommen. Man werde sehen. „Good bye!“. Und dieses „Auf Wiedersehen“ war überdeutlich. Nichts wie weg – und keinen Ärger durch das unerlaubte Eindringen. Weitere Tage im Marriott-Hotel. Der März beginnt, es wird merklich wärmer doch auch der Regen nimmt zu. Selbst das reichhaltige Buffet im Hotel wird langsam langweilig und viel Geld kostet unser Warten auch.
In fast jedem Ort auf der Welt, wo Hilfsorganisationen der UN tätig sind, gibt es auch UN-Klubs. Die werden nicht von den Vereinten Nationen betrieben aber gewähren meistens nur Mitarbeitern von NGOs und Journalisten den Zutritt. Eigentlich mag ich ja diese Ausländerclubs nicht, die sich in den Krisengebieten der Welt etablieren. Wenn mal jemand auf der Suche nach hochnäsigen, lauten Typen ist: diese Clubs für Ausländer sind meistens die richtige Adresse – zumal fast alle dieser Etablissements auch günstige alkoholische Getränke anbieten.
Wider Erwarten geht es hinter den Mauern hier am Rande der pakistanischen Hauptstadt wirklich entspannt und zivilisiert zu. Wie fast überall müssen wir am Eingang unsere Pässe vorlegen. Wer einen pakistanischen Pass oder Ausweis hat oder wer aus einem anderen islamischen Land kommt, hat keinen Zutritt. Es gibt Wein und Bier und die Lizenz für dieses Lokal gab es nur mit der Auflage, Muslimen den Eintritt zu verwehren.
Auf dem Rasen des Innenhofs sind Tische mit warmen und kalten Gerichten aufgebaut. Es riecht überaus lecker und die Tageskarte weist eine Reihe französischer Gerichte aus. Bezahlen müssen wir rund 12 Dollar, dafür können wir nehmen, was immer uns schmeckt. Getränke sind extra, das Glas Wein für rund fünf Dollar. Um uns herum gedämpfte Kakophonie in etlichen Sprachen. Gemeinsame Sprache ist natürlich Englisch doch auch skandinavische Sprachen, Französisch, Deutsch, Türkisch und (erstaunlich!) Arabisch sind zu hören.
Ein guter Abend! Trotzdem bin ich langsam ungeduldig. Ich will endlich nach Kabul, endlich sehen, wie es im Land der Taliban zugeht! Will wissen, wie die Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“ ihre Arbeit machen können. Zwei deutsche Ärztinnen arbeiten in Kandahar – und das bei gesetzlichem Arbeitsverbot für Frauen.
Das nächste Kapitel meines Afghanistan-Tagebuches erscheint am 26. November 2019 unter dem Titel „März 2001 – Visum und Drehverbot“. Ein weiteres Kapitel gibt es dann ca. alle 14 Tage. Insgesamt werden vorerst etwas mehr als 60 Kapitel veröffentlicht. Wann immer möglich, versuche ich selbst gemachte Fotos oder Standbilder aus unseren Videofilmen zu verwenden. Wenn Bilder von anderen Fotografen verwendet werden, sind diese immer namentlich gekennzeichnet. Dieser Blog kann weiter unten auf dieser Seite abonniert werden.
Dieter Herrmann, der Autor dieses Afghanistan-Tagebuchs, lebt in Australien, berichtet von dort für deutsche Fernsehsender und ist Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien. Bekannt ist er als Medientrainer für Hörfunk- und Fernsehsender sowie für Führungskräfte im oberen Management, Offiziere und Piloten. Kontakt zum Autor und weitere Informationen zu den angebotenen Medientrainings über die Homepage dieses Blogs oder unter dieter(at)australia-news.de [bitte das (at) durch das @-Zeichen ersetzen!]