März 2001 – Visum und Drehverbot? Es ist seit ein paar Tagen schon März. Gut drei Wochen sitzen wir jetzt in Islamabad fest und hoffen auf unser Visum für das inzwischen rund fünf Jahre alte „Islamische Emirat Afghanistan“. Immer wieder sind wir an der Bartprobe gescheitert und an der Freundlichkeit des Botschafters verzweifelt. Es ist

März 2001 – Visum und Drehverbot?

Es ist seit ein paar Tagen schon März. Gut drei Wochen sitzen wir jetzt in Islamabad fest und hoffen auf unser Visum für das inzwischen rund fünf Jahre alte „Islamische Emirat Afghanistan“. Immer wieder sind wir an der Bartprobe gescheitert und an der Freundlichkeit des Botschafters verzweifelt. Es ist extrem schwer geworden, die Kollegen in der Redaktion davon zu überzeugen, dass das Warten zwar teuer ist aber lohnt. „Dreht doch schnell irgend etwas in Pakistan und kommt zurück!“, habe ich erst gestern gehört. Wie blauäugig kann man eigentlich sein, wenn man in einer Redaktion sitzt?

Es ist Samstag. Wir sind mal wieder unterwegs zur afghanischen Botschaft im Planquadrat G-9. Nach so vielen Besuchen hier in der diplomatischen Vertretung ist mein Optimismus kurz davor zusammenzubrechen. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Mullahs uns noch hinhalten wollen. Vielleicht erwarten sie ja, dass unsere Bärte die Länge ihrer eigenen erreichen. Das würde vermutlich Jahre dauern… Vielleicht ist ja die Sache mit dem Bart auch nur vorgeschoben? Vielleicht bekommen sie ja auch einen Anteil an unseren Hotelkosten?

Ein baumlanger, dürrer Mann in bodenlangem schwarzen Gewand und mit kunstvoll gewickeltem Turban kommt auf uns zu, kaum dass wir den Hof der Botschaft betreten haben. „We are waiting for you!“. „Wir haben beschlossen, euch die Visa auszustellen. Ein paar Dokumente müsst ihr jetzt noch unterschreiben.“ Höflich bittet er uns ins Haus und fängt im Büro sofort an, nach Zetteln und Formularen zu suchen. Etliche Dokumente liegen ziemlich chaotisch in den Regalen und auf Tischen verstreut. Nach etwas Wühlarbeit hat er offensichtlich gefunden, was er sucht.

Da sind noch einmal genau die Visa-Anträge, die wir vor fast vier Wochen schon einmal ausgefüllt hatten. Natürlich müssen da noch einmal Passbilder drauf; gut, dass wir welche mitgebracht haben. Und dann ist da eine „Vereinbarung für Journalisten im Islamischen Emirat Afghanistan“. Offensichtlich mit einer etwas ausgeleierten Schreibmaschine geschrieben und dann fotokopiert. „Das,“ so sagt er uns, „müsst ihr auch noch unterschreiben.“

Als Kay sieht, dass ich schon den Kuli zur Unterschrift in der Hand habe, hält er mich zurück. „Lies doch erst mal!“. Okay, er hat natürlich recht und ich setze mich auf die Fensterbank und beginne zu lesen. Da steht eine Menge und es ist zum Teil sehr verklausuliert und umständlich geschrieben. Hier ist das Wichtigste:

  • Journalisten in Afghanistan dürfen Kabul nur verlassen, wenn die Reise vorher von der Informationsabteilung des Außenministeriums genehmigt wurde. Der Verstoß gegen diese Regel wird bestraft.

  • Journalisten in Afghanistan haben nicht das Recht, die Regierung, das Islamische Emirat Afghanistan oder sonstige Stellen zu kritisieren. Der Verstoß gegen diese Regel wird bestraft.

  • Ausländische Journalisten in Afghanistan müssen 24 Stunden am Tag von einem Dolmetscher begleitet werden. Der Dolmetscher wird vom Außenministerium benannt. Der Verstoß gegen diese Regel wird bestraft.

  • Journalisten ist es streng verboten, Menschen und andere Lebewesen zu fotografieren oder auf Video oder Film aufzunehmen. Der Verstoß gegen diese Regel wird bestraft.

  • Journalisten dürfen nur in dem Hotel wohnen, das ihnen vom Außenministerium oder vom Dolmetscher zugewiesen wird. Der Verstoß gegen diese Regel wird bestraft.

  • Alkoholische Getränke jeder Art dürfen weder nach Afghanistan gebracht, noch dort konsumiert werden. Der Verstoß gegen diese Regel wird bestraft.

Das sieht ganz schön problematisch aus. Na gut, ohne Alkohol kann ich sehr gut leben und auch in einem vorgeschriebenen Hotel wohnen zu müssen, sehe ich nicht als Problem. Auch das Verbot kritischer Berichterstattung dürfte uns kaum treffen, da ich die Texte zu unseren Filmbeiträgen ohnehin erst schreiben werde, wenn wir Afghanistan wieder verlassen haben.

Das strikte Verbot Lebewesen (einschließlich Menschen) zu filmen, geht aber gar nicht. Genau das erkläre ich dem Botschaftsmenschen und frage ihn, wie ein Reporter denn berichten könne, wenn er. z.B. keine Interviews machen dürfe.

„Ja,“ holt er aus, „das ist doch gar kein Problem. Selbstverständlich habt ihr die Erlaubnis Interviews zu machen.“ Wir dürften nur den Interviewpartner dabei nicht zeigen. Es wäre doch wohl gar kein Problem, eine Moschee oder die schöne Landschaft Afghanistans zu zeigen, während ein Interview zu hören ist.

Ich hingegen fürchte, dass kein Fernsehsender bereit wäre, ein Interview zu senden, bei dem der Interviewte überhaupt nicht im Bild ist. Unterschreiben, gegen die Regeln verstoßen und hoffen, dass es keine Probleme gibt? Oder nach fast vier Wochen des Wartens wieder nach Hause fliegen? Noch einmal versuche ich, mit dem Diplomaten zu diskutieren. Er zeigt sich verständnisvoll, doch er besteht weiterhin auf unsere Unterschriften; macht deutlich, dass es ihm ziemlich egal ist, ob wir unterschreiben und nach Kabul reisen dürfen, oder die Unterschrift verweigern und kein Visum bekommen. Soll ich ihn nach Bedenkzeit fragen? Oder darum bitten, dass sein Ministerium in Kabul mit uns eine Ausnahme macht? Soll ich ihn fragen, was uns für Strafen blühen, wenn wir gegen diese Regeln verstoßen?


Das nächste Kapitel meines Afghanistan-Tagebuches erscheint am 10. Dezember 2019 unter dem Titel „März 2001 – Empfang durch die Taliban“. Ein weiteres Kapitel gibt es dann ca. alle 14 Tage. Insgesamt werden vorerst etwas mehr als 60 Kapitel veröffentlicht. Wann immer möglich, versuche ich selbst gemachte Fotos oder Standbilder aus unseren Videofilmen zu verwenden. Wenn Bilder von anderen Fotografen verwendet werden, sind diese immer namentlich gekennzeichnet. Dieser Blog kann weiter unten auf dieser Seite abonniert werden.


Dieter Herrmann, der Autor dieses Afghanistan-Tagebuchs, lebt in Australien, berichtet von dort für deutsche Fernsehsender und ist Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien. Bekannt ist er als Medientrainer für Hörfunk- und Fernsehsender sowie für Führungskräfte im oberen Management, Offiziere und Piloten. Kontakt zum Autor und weitere Informationen zu den angebotenen Medientrainings über die Homepage dieses Blogs oder unter dieter(at)australia-news.de [bitte das (at) durch das @-Zeichen ersetzen!]


Meine erste Reise nach Afghanistan begann im Frühsommer 1973. Seitdem bin ich sicher über 100 mal mal im Land am Hindukusch gewesen und habe insgesamt mehre Jahre dort verbracht. Alle politischen System vom Königreich bis zur heutigen Islamischen Republik habe ich kennen gelernt. In rund 60 Kapiteln schildere ich, basierend auf Tagebüchern und Erinnerungen, meine Erlebnisse in dem Land, das seit 1973 nicht mehr zur Ruhe gekommen ist. Neben vielen anderen Erfahrungen wurde ich in dieser Zeit zweimal verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, musste zeitweilig im Bunker der türkischen Botschaft leben und hatte ein erstaunliches Interview mit Mullah Muttawakil, dem persönlichen Sprecher von Taliban-Führer Mullah Omar und späteren Taliban-Außenminister. Ich schildere meine eigenen Gefühle und Zweifel ebenso wie politische und menschliche Geschehnisse, Bewegungen in der Bevölkerung und Entwicklungen im Land. Nichts an diesem Manuskript ist erfunden oder hinzugedichtet – einiges allerdings habe ich, um niemanden zu gefährden, weggelassen. Einige Namen habe ich sicherheitshalber verändert.

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