März 2001 – Offizielle Einladung zum Besuch der Buddha-Statuen Die Reise nach Mazar-E-Sharif war anstrengend, aber hoch interessant. Für mich ist deutlich geworden, dass die Taliban-Regierung in Kabul ziemlich mächtig zu sein scheint. Im Norden, dort, wo wir gerade waren, ist sie es sicher nicht. Im Hotel scheinen etliche Ausländer angekommen zu sein. Asiatische Gesichter
März 2001 – Offizielle Einladung zum Besuch der Buddha-Statuen
Die Reise nach Mazar-E-Sharif war anstrengend, aber hoch interessant. Für mich ist deutlich geworden, dass die Taliban-Regierung in Kabul ziemlich mächtig zu sein scheint. Im Norden, dort, wo wir gerade waren, ist sie es sicher nicht.
Im Hotel scheinen etliche Ausländer angekommen zu sein. Asiatische Gesichter fallen besonders auf. Ich will schnell duschen, falls es Wasser gibt, und dann etwas essen. Mustafa will unten im Hotel warten und mit uns gemeinsam ins Restaurant gehen. Als ich nach einer halben Stunde in der Lobby aus dem ächzenden Fahrstuhl steige, ist Mustafa ungewöhnlich aufgeregt. „Dieter, wir müssen sofort wieder packen,“ sagt er mir atemlos. „Für morgen früh sind für Kay, dich und mich Flüge nach Bamiyan gebucht.“ Viele andere Journalisten kämen auch noch mit, auch Leute von der BBC und vom japanischen Fernsehen wären dabei. Es wäre eine offizielle Einladung der Regierung zum Besuch der beiden großen Buddha-Statuen und es wäre nicht möglich diese Einladung abzusagen. Warum unser Aufpasser jetzt, am Tag zuvor, schon so nervös ist, kann er mir auch nicht erklären. Kurz spreche ich mit den Kollegen von der BBC, die haben aber auch keine weiteren Informationen zu dem offiziellen Presse-Trip morgen früh. Immerhin können auch sie bestätigen, dass es unter der Taliban-Regierung so etwas bisher noch nicht gegeben habe. Etwas später essen wir gemeinsam im Hotel-Restaurant. Es gibt Qabuli-Pilaw und Cola.
Am Morgen um sechs steht ein Reisebus vor der Tür. Ein Mercedes O309, wie er ab Ende der 60er Jahre mit der Lizenz von Mercedes-Benz im Iran gebaut wird. Vermutlich mit der islamischen Revolution im Jahr 1979 erlosch diese Lizenz – der Bus wurde trotzdem weiter produziert. Das Fahrzeug hat 20 Sitzplätze, 18 davon sind besetzt. Der Gepäckraum hinter der letzten Reihe ist zu klein für das, was Fernsehleute so mitschleppen müssen. Im Gang stehen Kisten, Stative liegen quer über den Oberschenkeln der Kollegen. Nach einer guten halben Stunde sind wir am Flughafen. Keine Passkontrolle, keine Gepäckkontrolle, gleich raus auf das Flugfeld. Keine Überraschung: dort steht die alte Antonow AN-24. Selbst der Flugkapitän ist derselbe wie auf unserem Flug nach Mazar-E-Sharif und zurück.
Erstaunlich, dass die Regierung Geld für den Flug ausgibt. Auf der Straße sind es knapp 180 Kilometer bis Bamiyan. Luftlinie dürften es kaum 130 sein. Das Verstauen des Gepäcks im Flugzeug dauert dann ein bisschen und betankt ist die Maschine auch noch nicht. Während wir Passagiere neben dem Flugzeug stehen, wird vom Tankwagen aus Kerosin in die Tragflächen gepumpt. Es scheint ohnehin, als hätte niemand es eilig. Als dann endlich Journalisten und Regierungsoffizielle in der Antonow sitzen, gibt es eine kurze Begrüßung des Kapitäns, in der er uns natürlich einen guten Flug wünscht und eine Flugzeit von ungefähr 25 Minuten ankündigt. Na gut, vielleicht doch besser, als mit dem Bus dort hoch zu fahren…
Perfekt organisiert. Nach der Landung, die Triebwerke sind gerade abgestellt, steht schon wieder ein Bus für uns bereit. Das Fahrzeug ist etwas größer, Gedränge mit dem Gepäck bleibt aus. Noch immer weiß keiner von uns Journalisten, was uns hier erwartet. An der Stadt Bamiyan vorbei fährt der Bus auf einen kleinen Hügel, von dem aus wir die beiden Statuen sehen können. Aussteigen und eine „Totale“ drehen ist also angesagt. Einer unserer Begleiter spricht immer wieder aufgeregt in sein Funkgerät. Gleich gäbe es drüben, bei den Statuen etwas interessantes zu sehen, ruft er und bittet uns, die Kameras auszurichten. Eine Minute später werden beide Buddha-Standbilder in die Luft gesprengt. Eine Reihe von Explosionen ist zu sehen und nach ein bis zwei Sekunden auch zu hören. Als sich nach ein paar Minuten der Staub verzogen hat, sind beide Buddhas zerstört, Trümmer und Geröll liegen in den Nischen, in denen gerade eben noch die heiligen Statuen gestanden haben.
Ich kann es kaum fassen. Zwei so faszinierende und kulturell wertvolle Statuen werden einfach in die Luft gejagt. Ich kannte sie recht gut. Im Jahr 1973 habe ich schon einmal zu den Füßen der beiden Buddhas gehockt.
„Ein guter Moslem würde solche „Götzenbilder“ abstoßend finden,“ sagt uns ein Mann mit Turban, „der Anblick wäre nicht zu ertragen. In einem islamischen Emirat, wie Afghanistan es seit rund fünf Jahren ist, müssten alle solchen unislamischen Symbole entfernt oder zerstört werden“. Im Bus zurück zum Flugplatz sehe ich zwei der japanischen Kollegen weinen.
Das nächste Kapitel meines Afghanistan-Tagebuches erscheint am 18. Februar 2020 unter dem Titel „März 2001 – 12 Stunden im Auto für 150 Kilometer“ Ein weiteres Kapitel gibt es dann ca. alle 14 Tage. Insgesamt werden vorerst etwas mehr als 60 Kapitel veröffentlicht. Wann immer möglich, versuche ich selbst gemachte Fotos oder Standbilder aus unseren Videofilmen zu verwenden. Wenn Bilder von anderen Fotografen verwendet werden, sind diese immer namentlich gekennzeichnet. Dieser Blog kann weiter unten auf dieser Seite abonniert werden.
Dieter Herrmann, der Autor dieses Afghanistan-Tagebuchs, lebt in Australien, berichtet von dort für deutsche Fernsehsender und ist Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien. Bekannt ist er als Medientrainer für Hörfunk- und Fernsehsender sowie für Führungskräfte im oberen Management, Offiziere und Piloten. Kontakt zum Autor und weitere Informationen zu den angebotenen Medientrainings über die Homepage dieses Blogs oder unter dieter(at)australia-news.de [bitte das (at) durch das @-Zeichen ersetzen!]