August 2009 – Mercedes geht in Deckung Irgendwo glaubt einer der Redakteure in Berlin gelesen zu haben, dass es jetzt eine offizielle Mercedes-Benz-Niederlassung in Kabul gäbe und das dort Lehrlinge nach deutschen Richtlinien ausgebildet werden. Mehr wissen die Berliner nicht und das ist für uns ganz schön wenig. Hier kann man nicht mal schnell ins
August 2009 – Mercedes geht in Deckung
Irgendwo glaubt einer der Redakteure in Berlin gelesen zu haben, dass es jetzt eine offizielle Mercedes-Benz-Niederlassung in Kabul gäbe und das dort Lehrlinge nach deutschen Richtlinien ausgebildet werden. Mehr wissen die Berliner nicht und das ist für uns ganz schön wenig. Hier kann man nicht mal schnell ins Telefonbuch gucken oder an der Tankstelle fragen. Nach Dutzenden von Telefongesprächen und nachdem sich auch Wahab, unser Fahrer auf die Suche gemacht hat, bekommen wir tatsächlich heraus, dass es eine Mercedes-Vertretung gibt. Unter der Bezeichnung “Afghan-Star” gibt es sogar eine Internetseite, auf der die Serviceleistungen angeboten werden. Mit Adresse – aber ohne Telefonnummer. Die Anschrift führt uns in das Dorf Dehkhaduda Dad, ungefähr 15 Kilometer in Richtung Osten an der Straße nach Jalalabad.
Ein schönes Dorf mit freundlichen Menschen. Hühner rennen über die lehmigen Straßen, die Leute winken uns zu, am Brunnen steht eine Kinderschar. Das Wahllokal ist schon mit einer Flagge geschmückt. Wahab spricht mit einem älteren Mann mit graublauem Turban. Der weiß nichts von Mercedes, hat in seinem Dorf überhaupt noch nie eine Autowerkstatt gesehen. “Und das seit über 60 Jahren”, fügt er hinzu. Tatsächlich, es gibt einen kleinen Krämerladen und ein Teehaus. Eine winzige Schule, in der die Wahlurnen aufgebaut werden und eine öffentliche Toilette. Zweifel beschleichen mich. Vielleicht existiert ja weder “Afghan-Star” noch eine andere Mercedes-Vertretung…
Zurück in Richtung Kabul. Kurz nach Erreichen des Stadtrandes liegt auf der rechten Seite eine Vertretung des japanischen Autoherstellers MITSUBISHI. Wahab parkt unser Auto quer vor der Eingangstür und macht sich auf die Suche nach einem kompetent aussehenden Menschen. Nach rund 10 Minuten kommt er zurück, mit einem Zettel in der Hand.
“Die kennen die Werkstatt”, sagt er. “Ganz einfach zu finden. Wir drehen jetzt, fahren rund 200 Meter in Richtung Osten. Dann links, an dem kleinen Kiosk vorbei und immer geradeaus, bis die Straße zu Ende ist. Dort biegen wir links ab und gleich wieder rechts. Nach rund 100 Metern soll auf der linken Straßenseite ein großes Eisentor kommen. Dort müssen wir klopfen.” Ganz einfach also…
Die Beschreibung scheint zu stimmen. Kaum fünf Minuten später halten wir vor einem fast vier Meter hohen Eisentor zwischen ebenso hohen Mauern. Auf dem Tor und der Mauerkrone mehrere Lagen Stacheldraht. Kein Zeichen, kein Schild weit und breit. Hier deutet nichts auf eine Werkstatt hin – nicht einmal ein dezenter Mercedes-Stern ist zu sehen.
Vorsichtig klopfe ich mit der Faust an die massive Tür. Nichts. Keine Reaktion. Noch einmal. Heftiger und in der ganzen Nachbarschaft zu hören. Hinter dem Tor sind schlurfende Schritte zu hören. Ein Schlüssel wird ächzend im Schloss gedreht, zwei Riegel geöffnet. Quietschend öffnet sich das Tor gut zwei Zentimeter weit. Der Spalt ist gerade breit genug, um den Lauf einer Kalaschnikow hindurch schieben zu können, die direkt auf meine Schulter zielt.
Dieses war das zweite Kapitel im vierten Buch meines Afghanistan-Tagebuches. Die nächste Folge wird voraussichtlich am 7. Juli 2020 unter dem Titel „August 2009 – Ein Prinz mit Besen“ erscheinen. Ein weiteres Kapitel gibt es dann ca. alle 14 Tage. Insgesamt werden vorerst etwas mehr als 60 Kapitel veröffentlicht. Wann immer möglich, versuche ich selbst gemachte Fotos oder Standbilder aus unseren Videofilmen zu verwenden. Wenn Bilder von anderen Fotografen verwendet werden, sind diese immer namentlich gekennzeichnet. Dieser Blog kann weiter unten auf dieser Seite abonniert werden.
Dieter Herrmann, der Autor dieses Afghanistan-Tagebuchs, lebt in Australien, berichtet von dort für deutsche Fernsehsender und ist Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien. Bekannt ist er als Medientrainer für Hörfunk- und Fernsehsender sowie für Führungskräfte im oberen Management, Offiziere und Piloten. Kontakt zum Autor und weitere Informationen zu den angebotenen Medientrainings über die Homepage dieses Blogs oder unter dieter(at)australia-news.de [bitte das (at) durch das @-Zeichen ersetzen!]