Juni 1973 – Die schönste Moschee der Welt Nach zweifelnden Blicken von Michelle und giftigen Bemerkungen von Monika, nachdem Tarik und sein Ford Transit schon längst auf dem Wege in sein heimatliches Jalalabad sind, ist die weißgekleidete Pillendame kurz davor zu gewinnen. Diskutieren lässt sie mit sich überhaupt nicht, meine Papiere rückt sie nicht raus,

Juni 1973 – Die schönste Moschee der Welt

Nach zweifelnden Blicken von Michelle und giftigen Bemerkungen von Monika, nachdem Tarik und sein Ford Transit schon längst auf dem Wege in sein heimatliches Jalalabad sind, ist die weißgekleidete Pillendame kurz davor zu gewinnen. Diskutieren lässt sie mit sich überhaupt nicht, meine Papiere rückt sie nicht raus, die einsame Tablette liegt noch immer auf meinem Impfpass auf ihrem Arbeitstisch. Fast 7.000 Kilometer liegen hinter uns. Bis Kabul noch sind es noch rund 1.300.

Rein mit dem Ding und runter damit – obwohl es mir vor allem nicht leicht fällt, nachgeben zu müssen. So gern hätte ich das Duell zwischen „Ärztin“ und mir gewonnen… Warum grinst die Weißbekittelte denn so?

Früher Nachmittag, ich freue mich auf Herat. Kühle Getränke, ein richtiges Bett und die Stadt soll eine der schönsten Moscheen der Welt haben. Die Straße ist gut, der Verkehr ziemlich dicht. Etliche Reisebusse und viele Lastwagen, darunter auch schwere Fernverkehr-LKWs mit deutschem Kennzeichen. Bis ins Zentrum von Herat brauchen wir nur gut zwei Stunden.

Eine richtige Stadt! Immerhin rund 150.000 Einwohner. Eine, wie wir sie seit Teheran nicht mehr gesehen haben. Sehr schnell finden wir die Freitagsmoschee und ein in unmittelbarer Nähe gelegenes Hotel. Es sind Zimmer frei und eines davon soll sogar einen Balkon mit Blick auf die Moschee haben. Auf dem Hof gibt es einen sicheren Stellplatz für das Auto. Keine Frage, dass der Mann an der Rezeption einen der Schlüssel mir und den anderen den beiden Frauen in die Hand drückt. Sein strenger Blick lässt da auch gar nichts offen; ich werde wohl in der Nacht über den Flur schleichen müssen. Oder die zwei Mädchen?

In dem Raum, in dem ich (zumindest offiziell) nächtigen werde, ist gerade eben genug Platz für ein Bett mit altem, eisernen Bettgestell. Daneben ein Tischchen mit einer Waschschüssel und ein Hocker. Das bisschen Gepäck, das ich aus dem Auto mitnehme, hat unter Bett oder Tisch leicht Platz.

Mosque in Herat – (c) Babak Fakhamzadeh

 

Nur zwei Minuten Fußweg entfernt, genau gegenüber der Moschee, gibt es ein kleines Restaurant mit Tischen vor der Tür und einem Holzkohlegrill, aus dessen Richtung es lecker duftet. Genau richtig, denn wir drei haben Bärenhunger und der Sonnenuntergang vor dieser Freitagsmoschee ist sicher etwas besonderes.

Überall in der islamischen Welt gibt es Freitagsmoscheen. Der Freitag ist der wöchentliche Feiertag für alle Muslime und der wichtigste Tag für Gebete. Die nach diesem Wochentag benannte Moschee ist immer die wichtigste und größte Moschee eines Landes oder einer Region. So auch hier in Herat. Schon um das Jahr 1200 wurde der Grundstein für dieses Gotteshaus gelegt. Endgültig fertig wurde das Gebäude vor beinahe 500 Jahren, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Weite Teile der Moschee wurden in den anglo-afghanischen Kriegen zwischen 1839 und 1919 zerstört. Der Wiederaufbau begann erst im Jahre 1945. Eindrucksvoll ist vor allem die Größe der Moschee aber zugleich auch der reiche Schmuck mit dem blauen Halbedelstein Lapislazuli.

Juni 1973 – Crash nach Sonnenuntergang

Herat war wie ein paar Tage Erholungsurlaub nach den langen Strecken. Freundliche Menschen, wunderbares Wetter, leckere Fruchtsäfte und schmackhaftes Essen für extrem wenig Geld. Selbst die Hotelbetten waren zu ertragen, vor allem mit Monika und Michelle neben mir. Laut Tacho haben wir seit unserer Abfahrt in Berlin jetzt schon über 7.000 Kilometer zurückgelegt. In Teheran hatten wir unserem Auto in der VW-Vertragswerkstatt einen Service gegönnt, den nächsten Service wollen wir in Pakistan machen lassen, oder, je nach zurückgelegter Strecke, vielleicht auch erst in Indien. Den Luftfilter muss ich fast jeden Tag reinigen, der Sand und Staub auf den Straßen ist immens. Wir sind auf dem Weg in Richtung Süden, nach Kandahar. Es ist die längste der möglichen Strecken von Herat nach Kabul, aber die am besten ausgebaute.

Kaum sind wir raus aus der Stadt, sind wir mitten in der Wüste. Weite Sand- und Geröllflächen, schroffe Berge in der flimmernden Ferne. Reisende, die wir in Herat getroffen hatten, haben uns vor den Furten gewarnt. Im Winter kreuzen etliche Flussläufe die Straße. Brücken gibt es nicht ,aber die Fahrbahn sei im Verlauf der Flussbetten abgesenkt und manchmal voller Schlaglöcher. „Das kannst du von Weitem nicht erkennen,“ erzählte uns ein Schweizer, der mit einem Unimog unterwegs war, „dann krachst du plötzlich einen halben Meter steil in die Tiefe und nach ein paar Sekunden geht’s plötzlich wieder hoch.“ Er will von etlichen Achsbrüchen gehört haben. „Und bei Dunkelheit gibt es etliche Straßensperren, an denen man kontrolliert wird.“

Im Südwesten, weit von uns entfernt, zieht eine Kamelherde vorbei. Es sieht aus, als würden die Tiere hier wild leben. Kein Mensch weit uns breit. Der Wind fegt den Sand über die Straße, teilweise haben sich am Rande der Fahrbahn kleine Dünen gebildet. Es ist kaum Verkehr. Ein paar Lastwagen kommen uns entgegen und hin und wieder ein Reisebus, das Dach hoch mit Gepäck beladen. Nach fast zwei Stunden erreichen wir Adraskan. Kurz vor dem Ort ein Schild: „To Kabul 1.000 km“.

Die Straße ist noch ziemlich neu. Eine Firma aus Deutschland hat sie mit deutscher Finanzhilfe und im Auftrag der afghanischen Regierung gebaut. Früher, als die ganze Strecke von Herat bis Kabul kaum mehr als ein breiter Schotterweg war, sollen die Reisebusse auf dieser Route bis zu vier Tage unterwegs gewesen sein. Diese Furten, vor denen wir gewarnt wurden, gibt es wirklich und sie sind tückisch. Mit mehr als 20 oder 30 km/h sollte man in die Dinger nicht reinfahren. Wasser haben wir noch nicht gesehen, die Flüsse scheinen tatsächlich nur im Winterhalbjahr zu existieren.

Kurz hinter Adraskan geht es bergauf. Ein Gebirge liegt vor uns und es wäre großartig, wenn wir etwas mehr als die 47 PS des Boxermotors in unserem Heck hätten. In scharfen Kurven schlängelt sich die Straße den Berg hinauf. Nach unserer Karte sollen wir bis auf 2.000 Meter Höhe kommen. Nach dieser Karte sind es allerdings auch noch fast 500 Kilometer bis nach Kandahar – und wir sind seit Herat schon gut drei Stunden unterwegs. Das wird nichts, mit einem gemütlichen Hotelbett in Kandahar – es sei denn, wir fahren die Nacht durch.

Nach weiteren zwei Stunden erreichen wir Farah. Ein winziges Nest mit einer beeindruckenden Festung. Gelbbraune Lehmhäuser ducken sich in die gleichfarbige Landschaft. Es ist früher Nachmittag und zu heiß, um im Freien zu arbeiten. Die Hauptstraße ist wie ausgestorben. Wenn der Reiseführer recht hat, geht der Bau der Zitadelle auf Alexander den Großen zurück. Die Gemäuer, die leicht oberhalb der Stadt liegen, könnten also schon rund 2.300 Jahre alt sein. Knapp unterhalb der alten Festung leuchtet ein knallrotes Coca-Cola-Schild und wir drei haben Bärenhunger.

Es ist wirklich ein kleines Restaurant. Vor der Tür, noch knapp im Schatten, steht eine Metallkiste mit schwach glühender Holzkohle. Darin zierliche Töpfe aus Blech. Sie haben die Form eines kleinen Flaschenkürbisses. Darin blubbert eine gelbbraune Flüssigkeit leise vor sich hin. Ein paar hölzerne Schemel stehen um einen grob behauenen Tisch herum und eine fast zahnlose Frau mit einer dicken, behaarten Warze an der Nase kommt aus dem Innenraum.

Ich habe keine Ahnung, ob sie uns anlacht, der Mund in seiner leicht verzerrten Form könnte für jeden Gesichtsausdruck gut sein. Erstaunlich, dass es eine Frau ist. Bisher haben wir in Hotels und Gaststätten immer nur Männer arbeiten sehen. Vor ihrem Mund macht sie das international gebräuchliche Zeichen für „Trinken“ und eine Minute später stehen vor uns die zwei bestellten Colaflaschen und eine Fanta. Kurz darauf bekommt jeder eine Blechschüssel, einen Löffel und einen Stößel, der aussieht, als wäre er von einem Mörser.

Die Blechtöpfchen in dem Glutkasten werden etwas geschüttelt und mit Hilfe einer verbogenen Zange stellt sie jedem von uns eines die Gefäße auf den Tisch. Daher also die unzähligen Brandstellen auf der Tischplatte. Michelle und Monika sehen genauso hilflos aus, wie ich. Das erkennt anscheinend auch die Wirtin. Ich glaube, sie deutet ein Lächeln an. Mit der Zange nimmt sie Monikas Töpfchen und gießt die Flüssigkeit daraus in die Blechschale. Jetzt ist zu sehen, was sich unter der Suppe verbirgt: Kartoffelstückchen, Möhre, ein paar Erbsen und Fleischstücke. Mit dem Stößel wird nun der Inhalt des immer noch glühend heißen Topfes püriert. Dann heißt es: abwechselnd einen Löffel heiße Suppe und einen Löffel des Fleisch-/Gemüsepürees in den Mund und dazu frisch gebackenes Fladenbrot. Lecker! Am Schluss bezahlen wir dann 75 Afghanis, das sind drei Mark (€ 1,55). Die Hälfte davon haben Cola und Fanta gekostet.

Ich bin müde. Monika hat keine Lust. Michelle fährt weiter. Beim Essen haben wir ziemlich getrödelt und die Sonne steht schon tief. Kandahar ist, wenn es weiter so bergig und sandig bleibt, noch mindestens acht Stunden entfernt. Wir kommen viel langsamer voran, als wir gehofft und (vermeintlich) errechnet hatten.

Schon eine halbe Stunde später erreichen wir die erste Straßensperre. Ein Baumstamm liegt auf der rechten Straßenhälfte. Michelle kurvt um das Hindernis herum, ein paar Meter weiter dann eine Kette, die quer über die Fahrbahn gespannt ist. Ein paar düstere Gestalten stehen am Straßenrand. Einer von ihnen trägt eine Kalaschnikow über der Schulter. Sie bedeuten uns mitzukommen. Etwas Abseits ein Zelt und davor so etwas wie ein Campingtisch. Ein dickes Buch darauf und ein Mann davor, der „Write! Name!“ sagt. Die Seite hat viele Spalten, die mit einer für mich nicht lesbaren Schrift und zum Teil auch auf Englisch beschriftet sind. Name, Heimatland, Geburtsdatum, Reisezweck, Kfz-Kennzeichen, woher und wohin. Alles wollen sie wissen. Und am Schluss sollen wir noch bezahlen. „Tax please!“ sagt der Mann. Der Reiseführer hatte uns gewarnt, solche „Mautstellen“ soll es häufig geben ,doch anscheinend nur am Abend und in der Nacht. Auf der Quittung, die wir tatsächlich bekommen, steht auch der Betrag. 20 Afghanis sind zu entrichten. Rund 1,10 Mark (€ 0,55). Gerade noch zu verkraften – und die Quittung sieht richtig amtlich aus.

Es wird dunkel und ich bin noch immer müde. Michelle hingegen erscheint völlig fit und freut sich offensichtlich, fahren zu dürfen. Und es geht gut, obwohl wir aus ihrer Sicht auf der falschen Straßenseite fahren und auch der Hebel der Gangschaltung auf der falschen Seite ist. Wenn ich mich jetzt eine oder zwei Stunden hinlege und dann wieder fahre, schaffen wir es vielleicht doch noch bis nach Kandahar und müssen nicht am Straßenrand übernachten. Ab nach hinten. Zehn Minuten später schlafe ich tief und fest.

Als ich wieder wach werde, ist es stockdunkel und ich habe das Gefühl zu fliegen. Dann landen wir krachend und mir wird klar, dass ich nicht träume. Stillstand. Das Auto steht auf allen vier Rädern. Monika, auf dem Sitz vorne rechts, hält sich den Kopf, Michelle sitzt zitternd hinter dem Lenkrad.


 


Dieter Herrmann, der Autor dieses Afghanistan-Tagebuchs, lebt in Australien, berichtet von dort für deutsche Fernsehsender und ist Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien.
Bekannt ist er als Medientrainer für Hörfunk- und Fernsehsender sowie für Führungskräfte im oberen Management, Offiziere und Piloten.
Kontakt zum Autor und weitere Informationen zu den angebotenen Medientrainings über die Homepage dieses Blogs oder unter dieter(at)australia-news.de [bitte das (at) durch das @-Zeichen ersetzen!]


Meine erste Reise nach Afghanistan begann im Frühsommer 1973. Seitdem bin ich sicher über 100 mal mal im Land am Hindukusch gewesen und habe insgesamt mehre Jahre dort verbracht. Alle politischen System vom Königreich bis zur heutigen Islamischen Republik habe ich kennen gelernt.
In rund 60 Kapiteln schildere ich, basierend auf Tagebüchern und Erinnerungen, meine Erlebnisse in dem Land, das seit 1973 nicht mehr zur Ruhe gekommen ist.
Neben vielen anderen Erfahrungen wurde ich in dieser Zeit zweimal verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, musste zeitweilig im Bunker der türkischen Botschaft leben und hatte ein erstaunliches Interview mit Mullah Muttawakil, dem persönlichen Sprecher von Taliban-Führer Mullah Omar und späteren Taliban-Außenminister.

Ich schildere meine eigenen Gefühle und Zweifel ebenso wie politische und menschliche Geschehnisse, Bewegungen in der Bevölkerung und Entwicklungen im Land.

Nichts an diesem Manuskript ist erfunden oder hinzugedichtet – einiges allerdings habe ich, um niemanden zu gefährden, weggelassen. Einige Namen habe ich sicherheitshalber verändert.

Ob das letzte Kapitel jemals fertig werden wird, ist fraglich. Eigentlich sollte ich wieder in Kabul unterrichten, doch die Sicherheitslage ist dermaßen schlecht, dass meine Auftraggeber mich voraussichtlich nicht ins Land holen werden. „Deutscher Medientrainer von Taliban ermordet“ wäre für alle Beteiligten eine katastrophale Schlagzeile.

Dieter Herrmann

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