September 1973 – Abschied Aus dem Spiegel in unserem Hotelzimmer blickt mich mein verheultes Gesicht an. Unsere Nacht hatte wunderbar angefangen – später überkam mich die große Traurigkeit. Erst waren es nur ein paar Tränen, später dann habe ich Rotz und Wasser geheult – und Monika und Michelle waren auch alles andere als guter Laune.
September 1973 – Abschied
Aus dem Spiegel in unserem Hotelzimmer blickt mich mein verheultes Gesicht an. Unsere Nacht hatte wunderbar angefangen – später überkam mich die große Traurigkeit. Erst waren es nur ein paar Tränen, später dann habe ich Rotz und Wasser geheult – und Monika und Michelle waren auch alles andere als guter Laune.
Unser unwiderruflich letzter gemeinsamer Tag hat angefangen. Michelle will am späten Nachmittag einen Flug in Richtung Westen nehmen. Nach Frankfurt oder Paris oder besser gleich direkt nach London. Ihre Zeit wurde zunehmend knapper. Monika und ich wollen mit dem Auto weiter in Richtung Osten. Quer durch Pakistan und durch den Norden Indiens wollen wir nach Dhaka, in die Hauptstadt des erst vor gut zwei Jahren gegründeten Staates Bangladesch.
Frühstück fällt aus, Adressen und letzte Zärtlichkeiten werden ausgetauscht, Michelle sucht nach ein paar Souvenirs für ihre Familie. Am Nachmittag bringen wir sie zum Flughafen, Versprechen uns gegenseitige Besuche in London und Berlin. Später sehen wir etwas bedrückt, wie sie sich am Schalter von ARIANA, der afghanischen Fluggesellschaft anstellt.
Wir fahren am nächsten Tag weiter über Jalalabad zum Khyber Pass. Gut 220 Kilometer, für die wir nur etwas mehr als fünf Stunden brauchen. Die Straße ist in Ordnung, führt durch fruchtbare Täler und über knochentrockene Bergpässe. Die letzten 50 Kilometer geht es steil bergauf. Dutzende von engen Serpentinen schrauben sich an den Berghängen hinauf. Es ist angenehm kühl doch die vielen Lastwagen verpesten die Luft mit ihren schwarz qualmenden Dieselabgasen.
Zweimal überholen wir Kamelkarawanen, die auf dem unbefestigten Seitenstreifen der Fahrbahn in Richtung Osten unterwegs sind. Rund fünf Kilometer vor Erreichen des Passes und des Grenzübergang nach Pakistan ein wirklich außergewöhnliches Straßenschild. Die Strecke teilt sich hier. Motorfahrzeuge haben geradeaus weiter zu fahren während Kamele auf dem Weg nach Pakistan den Weg nehmen müssen, die nach rechts abzweigt.
Das hier ist das Land der Paschtunen. Offiziell unterliegt es zwar der Kontrolle von Afghanistan im Westen und Pakistan im Osten – tatsächlich haben aber selbst die Briten, die hier bis 1947 die Kolonialherren waren, rund um den Khyber-Pass „keinen Fuß auf den Boden bekommen“.
Selten habe ich außerhalb Europas eine so schnelle Grenzabfertigung erlebt. Nach einer guten Stunde sind wir in Pakistan – und damit im Linksverkehr. Wir fahren weiter über Peshawar nach Rawalpindi in die neue Hauptstadt Islamabad, werden durch eine lebensbedrohliche Überschwemmung lange festgehalten und erreichen die indische Grenze. Nach Bangladesch lässt man uns nicht – statt dessen reisen wir über Patna weiter nach Darjeeling und dann nach Kathmandu, in die Hauptstadt Nepals.
Doch das alles ist eine andere Geschichte, die nichts mehr mit Afghanistan zu tun hat.
Von Michelle habe ich nie wieder etwas gehört.
Von Afghanistan dafür umsomehr…
Das nächste Kapitel meines Afghanistan-Tagebuches erscheint am 30. April 2019 unter dem Titel „September 1996 – Koranschule in Pakistan“. Ein weiteres Kapitel gibt es dann ca. alle 14 Tage. Insgesamt werden etwas mehr als 60 Kapitel veröffentlicht.
Dieter Herrmann, der Autor dieses Afghanistan-Tagebuchs, lebt in Australien, berichtet von dort für deutsche Fernsehsender und ist Chefredakteur der einzigen deutschsprachigen Zeitung in Australien. Bekannt ist er als Medientrainer für Hörfunk- und Fernsehsender sowie für Führungskräfte im oberen Management, Offiziere und Piloten. Kontakt zum Autor und weitere Informationen zu den angebotenen Medientrainings über die Homepage dieses Blogs oder unter dieter(at)australia-news.de [bitte das (at) durch das @-Zeichen ersetzen!]